Der Wolf – gekommen, um zu bleiben

Wolf in der Lüneburger Heide

Wolf in der Lüneburger Heide

Konzentriert hat Lucas Ende den Blick auf die Spuren auf den Weg vor seinen Füßen gerichtet. Zielgerichtet sucht der Mitarbeiter des Wolfsprojekts beim Naturschutzbund Deutschland (NABU), den Feldweg nach Wolfsfährten ab. Die Sonne scheint, die Luft ist klar und die Abdrücke von Wildschwein, Hirschkuh, Dachs und Hunden hinter dem Straßendorf Groß Briesen im „Hoher Fläming“ am südlichsten Zipfel Brandenburgs sind gut zu lesen.

Lucas Ende, NABU, vermißt Wolfsspur, Hoher Fläming, Brandenburg

Lucas Ende, NABU, vermißt Wolfsspur, Hoher Fläming, Brandenburg

Vom breiten Feldweg biegen wir ab auf einen weniger regelmäßig genutzten Waldweg. Plötzlich liegt Spannung in der Luft, die Spur vor uns ist anders. Nach vorne gebeugt gehen wir an ihr entlang. Der Biologe vermisst die Abdrücke mit dem Zollstock. Er markiert sie mit Stöckchen, um ein mögliches Muster zu erkennen. „Neun Zentimeter lang, acht Zentimeter breit, die Schrittlänge ist mehr als ein Meter“ ergibt seine Messung. Auch der Gesamteindruck der Spur stimmt: sie ist oval und nicht rundlich wie beim Hund, der Mittelhandballen ist kleiner ausgeprägt, die Krallenabdrücke sind scharf und zeigen nach vorne. Damit unterscheidet sie sich von einer Hundespur. Für den Naturschützer gibt es keinen Zweifel: „hier ist ein Wolf entlanggekommen“.

Pfotenabdruck, Wolf, Hoher Fläming, Brandenburg

Pfotenabdruck, Wolf, Hoher Fläming, Brandenburg

Die Wildwechsel seiner Beutetiere, die sich wie kleine Schnellstraßen durchs Unterholz ziehen, hat das Tier nicht betreten: „Wölfe nutzen sie nicht, sie kreuzen sie höchstens“, weiß der Fachmann. Dafür laufen sie gerne auf von Menschen angelegten Straßen und Wege, weil sie sich darauf schnell und energiesparend fortbewegen können. Das wiederum wird besonders jungen und unerfahrenen Wölfen während der Dämmerung in der Winterzeit oft zum Verhängnis, wenn der Beginn ihrer aktiven Phase mit dem Berufsverkehr zusammen fällt. Seit Beginn ihrer Rückkehr nach Deutschland sind so 158 Wölfe ums Leben gekommen.

Wolfsfährte im Schnee

Wolfsfährte im Schnee

„Unser“ Wolf hinterließ eine geradlinige Spur, er ist „geschnürt“, wie die Fachwelt dazu sagt. Nur einmal schwenkt sie leicht nach links zu einer kleinen, schiefen Kiefer. Vielleicht hat das Tier nur Witterung aufgenommen. „Hätte ein Rüde sein Revier markiert, könnten wir das anhand der Abdrücke nachvollziehen“, erläutert Ende. Danach sieht es an unserem Fundort nicht aus. Besonders die Losung der Wölfe gibt wichtige Hinweise über ihre Ernährungsgewohnheiten und die genetische Herkunft sowie ihre Wanderbewegungen – doch so viel Glück haben wir auf unserer Spurensuche heute nicht. Das Häufchen vor uns hat bereits Moos angesetzt und ist keinem Tier mehr eindeutig zuzuordnen. „Inzwischen wissen wir, dass Wölfe in Deutschland hauptsächlich Rehe fressen, in Polen eher Rotwild“, erklärt der Biologe. Zu ihrer Nahrung gehören außerdem Hirschkälber, Frischlinge vom Wildschwein, Feldhasen und andere kleine Tiere.

Nahrungszusammensetzung von Wölfen, Deutschland

Nahrungszusammensetzung von Wölfen, Deutschland

Damit Wissenschaftler die Mobilitätsdaten auswerten können, sind einzelne Tiere mit Sendern ausgestattet. Auch Fotodaten aus Fotofallen helfen dabei, Bewegungsprofilen der Wölfe auf die Spur zu kommen. Einer unveröffentlichten Studie des Lupus Institut für Wolfsmonitoring und – Forschung in Deutschland zufolge meidet der Wolf Siedlungs- und Agrarflächen. Er durchläuft sie meist nur in der Nacht, um dem Kontakt mit Menschen aus dem Weg zu gehen. Die Nähe zum Menschen suchen gesunde Wölfe nicht. Interesse zeige ein Wolf ab und zu an Hunden meint der NABU Experte. Er sieht in ihm möglicherweise Konkurrenten oder in Ausnahmen auch Paarungspartner. Geht ein Hund bei einem Spaziergang jedoch dicht am Halter, weicht der Wolf normalerweise zurück.

Wolfswelpen in der Heide

Wolfswelpen in der Heide

Wölfe leben im Rudel. Ende Januar bis Ende Februar ist die Ranzzeit, ihre Paarungszeit. Dann sind sie besonders aktiv und legen in ihrem Revier große Strecken zurück. Nach etwa 60 Tagen, gegen Ende April bis Anfang Mai, bringt die Fähe, die Wölfin, ihre Jungen in einer Erdhöhle zur Welt. Während der ersten Lebensmonate der Jungwölfe ist der Bau der Mittelpunkt im Leben einer Wolfsfamilie.

Wolf in der Lüneburger Heide

Wolf in der Lüneburger Heide

Von einem Rudel spricht man, wenn ein Paar erfolgreich Junge aufzieht. Zum Rudel gehören die Elterntiere sowie alle Jungtiere: die Welpen des aktuellen Wurfes und Tiere bis zu zwei Jahren. Die älteren Jungtiere unterstützen die Elterntiere. Sie beteiligen sich an der Jagd und beschützen die Kleinen. Mit etwa zwei Jahren sind Wölfe geschlechtsreif. Ab einem Alter von 10 Monaten bis zwei Jahren verlassen sie das Rudel und wandern ab. Neben dem Nahrungsangebot sorgen dieser Rhythmus und die hohe Sterblichkeit der Jungtiere dafür, dass die Zahl der Wölfe in einem Gebiet etwa gleich bleibt.

Todfunde von Wölfen, 2000 - 2017, Verkehrsopfer und illegale Tötungen

Todfunde von Wölfen, 2000 – 2017, Verkehrsopfer und illegale Abschüsse

Jungwölfe können auf ihrer Wanderschaft große Strecken zurücklegen. Haben sie einen Partner gefunden, besetzen sie ein Territorium, in dem sie bleiben. Ein Wolfsrevier kann 200 Quadratkilometer und mehr umfassen. Bei der Auswahl sind die Tiere nicht besonders wählerisch, weiß der Ökologe, denn „Wölfe brauchen keine Wildnis. Sie leben dort, wo genügend Beute vorhanden ist und sie Rückzugsmöglichkeiten zur störungsfreien Aufzucht ihrer Jungen finden sowie Flächen, die möglichst wenig durch große Straßen unterbrochen sind.“ Deshalb findet man Wölfe nicht nur in Naturschutzgebieten sondern auf Truppenübungsplätzen, in Bergbaufolgelandschaften oder in Kiefermonokulturen. Die Wanderfreunde sind Opportunisten und nutzen Möglichkeiten, wo sie sich ihnen bieten. Für den Naturschützer ist der Wolf ein „intelligentes aber nicht hinterhältiges, energieeffizientes Tier, das durch angepasstes Verhalten sein Überleben sichert.“

Forstweg mit Wofsfährte, Hoher Fläming, Brandenburg

Forstweg mit Wofsfährte, Hoher Fläming, Brandenburg

Um 1850 verschwanden die brandenburgischen Grauhunde, vor etwa 150 Jahren töteten Menschen den letzten in Deutschland wild lebenden Wolf. Bis in die 1980er Jahre schoss man immer wieder Tiere ab, die aus dem Osten einwanderten, weil es legal war. In Ostdeutschland sogar noch länger. Die Europäische Union stellte den Wolf in den 1990ern unter Schutz. 1998 etablierte sich das erste Wolfspaar aus Ost-Polen erfolgreich auf dem Truppenübungsplatz Oberlausitz in Sachsen, zwei Jahre später kam der erste Wurf Welpen zur Welt. Von Sachsen wanderten die großen Jäger über Brandenburg und Sachsen-Anhalt bis nach Niedersachsen. Seit 2006 gibt es wieder Wölfe in Brandenburg.

Verbreitungsgebiet Wölfe, Deutschland

Verbreitungsgebiet Wölfe, Deutschland

Inzwischen leben laut Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) 22 Rudel mit 74 nachgewiesenen Welpen und drei Paaren hier. Insgesamt lebten im Wolfsjahr 2016/2017 In den Bundesländern Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen laut DBBW 60 Rudel mit 218 Welpen, 13 Paare und drei territoriale Einzeltiere.

Wölfe in Lausitzer Teichgebiet

Wölfe in Lausitzer Teichgebiet

Soweit die Erfolgsgeschichte der freiwilligen Rückkehr der leisen Jäger. Kaum jedoch hat das graue Langbein seine Pfoten wieder auf deutschen Boden gesetzt und etabliert sich gar im Rudel, regt sich der Widerstand. Plötzlich sind tief sitzende Ängste und die alte Abneigung wieder da. Der Wolf gefährde die Bevölkerung, Nutztiere und den Wildbestand, ereifern sich die Gegner. Sogar an der Verbreitung der Afrikanischen Schweinepest soll er die Schuld tragen. Ende entkräftet, indem er erklärt, dass sich die Krankheit eher aufgrund hoher Gütertransportaktivitäten durch Menschen verbreite. Der Wolf sei als Verursacher nahezu auszuschließen – das habe das für Tierkrankheiten zuständige Löffler-Institut kürzlich bekräftigt.

Wolf in der Heide

Wolf in der Heide

Die Wolfspopulation wächst langsam aber stetig in Deutschland und schon kommt die Frage nach der Tragfähigkeit der Gebiete und Obergrenzen für die Tiere auf. Dem hält der Fachmann entgegen „von einem guten Erhaltungszustand der Wolfspopulation, wie ihn die EU-Kriterien vorgeben, sind wir weit entfernt“ und fährt fort „die Natur regelt sich selbst. Die Wölfe passen sich dem an, was an Fläche und Beutetieren vorhanden ist.“ In einer Region könne es daher nur eine begrenzte Zahl an Wölfen geben. Für den Wolfsexperten beim NABU ist die Rückkehr der Wölfe eine tolle Sache: „wir haben einen Teil der Natur mit dem Wolf von alleine zurückkehren lassen – trotz unseres Naturnutzungsverhaltens und der Agrarmonokulturen.“

Wildwechsel, Kiefernforst, Hoher Fläming, Brandenburg

Wildwechsel, Kiefernforst, Hoher Fläming, Brandenburg

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