An sich ist der Mehlemer Bach ein kleines und unscheinbares Rinnsal, das in einem künstlichen Flussbett teils über der Erde, teils unterirdisch durch den Ortsteil Mehlem in Bonn fließt. Am vergangenen Samstag hat sich das schlagartig geändert: aus dem Bach wurde ein reißender Strom, der in kürzester Zeit über die Ufer trat und den Ortskern überflutete. Wie schon in 2010 und 2013 liefen Keller voll. Damit traf es Mehlem mit der dritten Überschwemmung innerhalb weniger Jahre.
Wir waren an diesem Nachmittag gegen 17 Uhr gerade auf dem Weg zu einer Feier, als wir auf der B9 stadtauswärts die Sirenen der Feuerwehr hörten. Das vorausgegangene Gewitter war gar nicht so schlimm gewesen und auch die Wassermengen durch den einsetzenden Regen hielten sich in Grenzen.
Am Sonntag beim Brötchen holen sahen wir dann die Bescherung: die Ortsdurchfahrt samt einiger Nebenstraßen in Mehlem waren komplett für den Verkehr gesperrt. Überall standen Fahrzeuge von Feuerwehr und Technischem Hilfswerk. Große Schläuche lagen aus, Pumpen wurden installiert.
Von weitem waren schon die Generatoren vor den Häusern zu hören. Keller wurden ausgepumpt. Am Straßenrand türmten sich die ersten Müllberge. Vollgesogene Teppiche, alte Autositze, vor allem Holziges, triefend vor Nässe wartete auf Entsorgung.
Infrastruktur reicht für Starkregen nicht aus
Dabei hatte der Starkregen dieses Mal gar nicht Mehlem direkt getroffen. Viel schlimmer war die Situation im höher gelegenen Wachtberg. Dort hatten die Wassermassen der Ortschaft schwer zugesetzt, das Wasser suchte sich seinen Weg nach Mehlem.
Hier versagte die alte und zu eng dimensionierte Kanalisation. Der Rückstau aus dem Rhein ließ das Wasser nicht abfließen, die enge Kanalisation nahm das Wasser nicht mehr auf. Dabei wurde der Druck auf die Kanäle Richtung Rhein so groß, dass einer auf Höhe der Rüdigerstrasse riss.
Dort verlaufen die Kanäle unterirdisch. Das austretende Wasser unterspülte angrenzende Wohnhäuser. Anwohner mussten evakuiert werden. Einige Familien konnten am Sonntag wieder in ihre Häuser zurück.
Weitere Schäden befürchtet
Das alte Kanalsystem ist nicht mehr zuverlässig, die Stadt befürchtet weitere Schäden. Zwar baut man fieberhaft an einem Entlastungskanal für den Ortskern Mehlem und die zweite Bauphase ist auch schon abgeschlossen. Eine Fertigstellung wird laut Oberbürgermeister Sidharan erst für 2017 erwartet. So lange müssen die Mehlemer bei jedem Unwetter bangen.
Der alte Kanal kann auch erst neu instand gesetzt werden, wenn der Entlastungskanal fertig gebaut ist. Dann wird das Wasser aus dem Mehlemer Bach über den neuen Kanal umgeleitet in den Rhein.
Weitere Gewitter erwartet
Während die Mehlemer sich tapfer durch Schlamm und Wasser kämpfen, baut sich am Himmel schon die nächste Gewitterfront auf. Vorsorglich hat die Feuerwehr weitere Pumpen installiert, damit man bei neuem Hochwasser den Druck vom Kanal nehmen kann.
Einige Anwohner interpretierten die Aktivitäten der Feuerwehr sehr eigenwillig. Das Gerücht machte plötzlich die Runde, die Feuerwehr wolle den Bach aufstauen und so den Ortskern weiter fluten und bei neuem Hochwasser die Wassermassen über die angrenzende Siegfriedstrasse in Richtung Rhein ableiten.
Die Feuerwehr räumte das Missverständnis zwar sehr schnell aus dem Weg. Sie erklärte, dass im Bedarfsfall das Wasser über einen weiteren Kanal unter der Erde abgeleitet würde, ohne die Anwohner zu gefährden.
Gerüchte jedoch können sich hartnäckig halten. Deshalb haben sich besonders Misstrauische vorsorglich an den von der Feuerwehr bereitgestellten Sandsäcken bedient, die eigentlich für andere Zwecke eingesetzt werden sollten.
Aus Erfahrung klug
Wer direkt am Mehlemer Bach wohnt, hat in den letzten Jahren seine Erfahrungen mit dem Hochwasser gemacht. Anwohner Reinarz hat deshalb vor einiger Zeit eine gute Investition getätigt. „Der Mehlemer Bach kommt mir nicht noch einmal ins Haus“ sagt der Senior entschlossen und weist auf seine Schotten. „Ich habe gut vorgesorgt und mir den Hochwasserschutz einbauen lassen“.
Als das Wasser wieder kam, konnte er seine Fahrzeuge noch rechtzeitig aus der Garage direkt am Bach in Sicherheit bringen. Dieses Jahr hat es nur die Wiese im Garten geflutet. Er hatte Glück.
Unmut deutlich spürbar
Zwar wird am Entlastungskanal im kleinen Park neben dem Mehlemer Ortskern schon seit einiger Zeit gebaut, aber aufgrund der drohenden Unwetter geht es den Ortsansässigen nicht schnell genug. Mit dem Besuch von OB Sridharan hofft man nun, dass nach dem dritten Hochwasser in Folge der Bau schneller zum Abschluss gebracht wird, damit der Kanal die sehnlichst erwartete Entlastung bringt.
Auch Godesberg betroffen
Nicht nur in Mehlem war „Land unter“. In Bad Godesberg schwoll der Godesberger Bach nach Starkregen im Meckenheimer Raum unerwartet stark an und trat über die Ufer. Er überflutete die Godesberger Innenstadt. Dabei wurden drei Personen verletzt.
Neben zahlreichen Kellern füllte das Wasser die Tiefgarage des Einkaufszentrums Fronhofer Galerie. Dabei löste es in einer Stromverteilerstation Kurzschlüsse aus. Zeitweise wurde die Stromversorgung für 1.000 Haushalte unterbrochen.
Bis zu 700 Einsatzkräfte der Feuerwehr waren seit Samstag in Godesberg und Mehlem im Einsatz. Das Rote Kreuz verteilte allein am Samstag 600 warme Essen, am Sonntag 500 Frühstücke.
Für den Nachmittag waren weitere Unwetterwarnungen für die Gegend ausgegeben worden. Geschäftsleute und Anwohner trafen Vorkehrungen – sie dichteten Türen und Schächte ab, so gut es ging. Die Situation war angespannt, niemand wusste, wie schlimm es kommen würde.
Mehlem kam gestern glimpflich davon – es gab zwar erneut Gewitter mit Schauern aber kein neuerliches Hochwasser. Auch am heutigen Montag laufen die Aufräumarbeiten auf Hochtouren im Ort. Einige Geschäfte blieben vorsorglich geschlossen. Der Ort wirkt ruhig.
Die Stadtwerke waren mit der Beseitigung der Schlammmassen auf der Mainzer Straße beschäftigt. Bei der Feuerwehr zeigt man sich optimistisch. Bleiben will man in Mehlem noch, solange die Aufräumarbeiten andauern, geht aber nicht davon aus, dass weitere Einsätze notwendig sind, obwohl neue Gewitter für den Nachmittag angekündigt sind.
… und schon setzt wieder Regen ein, in der Ferne ist das erste Donnergrollen zu hören. Da hilft nur Daumendrücken, dass es keine neuen Starkregenereignisse in Mehlem und Umgebung gibt.